Vorwort

Zeit meines Lebens bin ich damit beschäftigt, den angestammten Glauben für mich und meine Mitmenschen nachvollziehbarer zu machen.
Möglichst so, dass alle unglaublichen Glaubenswahrheiten auch für einen „normalen, gesunden Menschverstand“ verstehbar werden. Ich bin durch meine Tätigkeit als katholischer Religionslehrer dazu verpflichtet, die zentralen religiösen Problemstellungen (Gott und das Leid, Trinität, Auferstehung, Opfer Jesu, Jungfrauengeburt, personalisiertes Gottesbild etc.) zu vermitteln. Das gelingt im traditionellen Verständnis nur mit einer gehörigen Portion unbeirrbarem, oft unvernünftigem „Glauben“.
Für Schülerinnen und Schüler von heute endet der Versuch der Nachvollziehbarkeit oft in der Abwendung vom überlieferten Glauben oder im gedankenlosen Wiederholen religiöser Floskeln. Das gilt gleichermaßen für erwachsene Christinnen und Christen.
Für mich blieb aber der Anspruch, ein stimmiges Verständnis meines christlichen Glaubens formulieren zu können. Ich bin dabei auf eine verbindende Idee gestoßen, die meiner Ansicht nach die meisten Probleme lösen kann: Der Gedanke vom göttlichen Funken in dir, in mir und allem. Dies habe ich ausgeführt und übertragen auf viele Gebiete des katholischen Glaubenslebens: Von Theologie, Dogmatik, Philosophie, Biblischer Tradition, bis zur Liturgie, zu den Festen, zur Literatur.
Als ich dann meine Ergebnisse betrachtete, stellte ich fest, dass vieles davon gar nicht mehr den traditionellen Formulierungen der katholischen Glaubensinhalte entsprach. Ich stellte mit Erschrecken (!) fest, dass da teilweise nicht mehr viel Katholisches enthalten ist. (Catherine meinte, dass ich in früheren Jahrhunderten dafür wohl gebrannt haben würde.) Trotzdem sehe ich mich in bester Tradition zu den Intentionen des Christentums und eines katholischen Glaubens, wie ich ihn für mich mit bestem Gewissen vertreten kann. Ich nenne es nun „Mein ganz anderes KATHOLISCH“. Wie nebenbei ist in der Folge mein „KATHOLISCH“ im eigentlichen Sinne „allumfassend“ geworden (griech. katholikos = das Ganze, alle betreffend, allgemein). Mein „KATHOLISCH“ kommt ohne viel Unglaubliches aus. Damit wird es zu einer Befreiung vom Überkommenen. Es ist mir zu wenig, wenn Glauben „nicht besser wissen“ heißt oder Glauben ein „für wahr halten von ungewissen Überzeugungen“ ist.
Mein „KATHOLISCH“ ist nicht mehr konfessionell zu verstehen, es öffnet sich und umfasst alle und alles. Es kann deshalb auch für alle von
Bedeutung sein, egal welcher Glaubensrichtung Mann oder Frau angehört. Es soll wahrhaft allumfassend sein, was „katholisch“ im Grunde ja auch heißt. Schließlich soll ein solches „KATHOLISCH“ eine Anregung sein für meine gute alte katholische Kirche, für meine Mitchrist*innen aus allen Konfessionen, für die, die den Glauben verloren haben oder kurz davor sind oder noch nie hatten. Es soll Anregung für eine hoffnungsvolle Neubesinnung auf eine modernere, der Zeit gemäßere Theologie und Glauben sein.
In einer geselligen Runde unter Freunden bin ich vor kurzem massiv unter Druck geraten, weil sie nicht verstehen konnten, wie ich mich noch katholisch nennen könne, wo doch mit dieser Kirche derzeit überwiegend Missbrauch, sexuelle Gewalt, Rückständigkeit (nicht nur in der Sexualmoral), Intoleranz, Diskriminierung von Frauen, autoritäre Strukturen und Irrationalität verbunden sind.
Das hat gesessen und mich recht in Erklärungsnot gebracht, wie ich denn so treu an dieser Kirche hängen könne. Da ist wahrlich viel zu tun.
Alle diese Themen sind dringend aufzuarbeiten, Fehlverhalten zu benennen und zu reformieren. Der Synodale Weg verspricht da hoffnungsvollen Aufbruch. Diesen Fragen nach der konkreten Kirche will ich mich hier aber im Einzelnen nicht widmen. Da gibt es genügend Anstrengungen, Veröffentlichungen und begrüßenswerte Ansätze von vielen engagierten Christinnen, Christen und Mitstreitern an anderen Stellen.
Was meiner Ansicht nach aber bislang fehlt, ist eine tiefgehende Neuorientierung der theologischen Inhalte, damit der Glauben wieder glaubhafter wird. Gerade darin liegt meine Hoffnung, dass aus der Idee von der Göttlichkeit in jedem von uns und allem ein Funke entspringt, der diese grundlegende Diskussion neu entfacht, einen Feuersturm des Theologisierens neu entzündet, der jeden entflammt und nicht kalt sein lässt
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Dazu mögen diese Überlegungen eine zündende Anregung sein, damit am Ende ein anderes überzeugendes KATHOLISCH aus göttlichem Funken entsteht.
Kronberg, im Juli 2021


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Lk 12,49: Jesus sagt zu den Jüngern: „Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu
werfen. Wie froh wäre ich, es würde schon brennen!“