Vorüberlegungen
0.1 Der Plan für das Buch
Meine gewagte Behauptung ist, dass der unscheinbare Gedanke vom „Göttlichen Funken in dir, in mir und allem“ alles verändert. Er ist meiner Ansicht nach geeignet, die meisten großen Probleme des Christseins und der christlichen Theologie in einem neuen Licht erscheinen zu lassen, wenn nicht sogar zu lösen. Der Gedanke bietet darüber hinaus einen Ansatz, unsere Existenz in dieser Welt besser zu verstehen. Ich plädiere z.B. für einen Wandel in der Vorstellung vom personalisierten Gott hin zum persönlichen Göttlichen. Das Faszinierende ist, dass sich dadurch eine Religiosität eröffnet, die weitgehend ohne die Notwendigkeit auskommt, das Unglaubliche des traditionellen Glaubens glauben zu müssen und sich dadurch für viele „Ungläubige“ öffnet.
Bemerkenswerterweise hat sich herausgestellt, dass dieser Gedanke kein ganz neuer Gedanke, sondern schon immer in der christlichen Botschaft und der Philosophie angelegt ist. Immer wieder taucht er auf und wird genauso regelmäßig wieder verdrängt. Die Chancen dieses Gedankens werden in jüngerer Zeit auch in der philosophisch-theologischen Debatte um den „Pan-en-theismus“ erneut aufgegriffen.i Der Theologe Klaus Müller unterstützt dies, weil der All-Einheits-Gedanke in der christlichen Tradition wie ein „monistischer“ Tiefenstrom eine lange Tradition hat, deren Potential zu leicht aufgegeben wurde. „Monismus“ meint laut Duden eine „Lehre von der Existenz nur eines einheitlichen Grundprinzips des Seins und der Wirklichkeit“. In Radikalität formuliert, reizt der Gedanke zum Widerspruch und erscheint blasphemisch. Ich denke aber: Es lohnt sich, den Gedanken, dass Gott in allem ist, neu zu entdecken, auf seine Tragfähigkeit hin abzuklopfen und in der Folge zu entfalten. Gleichzeitig ist er eindeutig in der christlichen Botschaft, dem Glauben und der Kirche, ja grundsätzlich in der Welt begründet und verbreitet, wie ich es hier in meinen Ausführungen darlegen möchte.ii
Der Gedanke des Panentheismus ist neuzeitlich zwar schon mit dem Nachkantianer K.C.F. Krause (1781-1832) in die Debatte gekommen, der den Begriff wohl geprägt hat. Ansätze zum Funkengedanken gibt es aber schon in den biblischen Quellen, im Alten wie im Neuen Testament. Sein Kern findet sich von der antiken Philosophie über die mittelalterliche Mystik, den Rationalismus und den Deutschen Idealismus bis in die Neuzeit. Inzwischen spricht man in der modernen Theologie auch und gerade in der fruchtbarer Auseinandersetzung mit der Dogmatikiii hoffnungsvoll vom „Panentheistic Turn“. Wenn man diesen „Turn“, diesen Schwenk, frei legt und als Anregung im persönlichen wie im theologischen Bereich versteht, kann er eine ungeheure Sprengkraft und ein neues Denken in der Theologie entfalten. Es geht mir hier zwar nicht um eine systematisch fachtheologische Erörterung von enzyklopädischem Umfang, aber um die Erfahrung, dass – konsequent umgesetzt – sich dadurch viele bisherige Probleme in Luft auflösen bzw. in neuen Zusammenhängen gut zusammenfügen lassen.
Hier eine Übersicht über die Abfolge der behandelten Themen:
In den Vorüberlegungen will ich die Bedingungen meines Schreibens benennen. Eine Menge W-Fragen werden erörtert: Was? Für wen? Warum? Wie? Worüber?
Ich starte danach mit lebensnahen Auswirkungen des Funkengedankens und übertrage ihn auf drei konkrete Beispiele, die ganz am Anfang standen und gewissermaßen die ersten Gehversuche meines Schreibens darstellten: Der Ursprung des Lebens aus Verschmelzung, das Ende des Lebens im Verglimmen des Funkens sowie die bittere Erkenntnis, dass Funken auch zur Vernichtung führen können. In der Folge erläutere ich meine Grundidee vom göttlichen Funken ausführlicher.
In einem „Funkenregen“ will ich positiv vor Augen führen, wo überall in der Welt bereits wunderbare göttliche Funken am Werk waren und immer noch sind und will damit so etwas wie eine persönliche Kosmologie (fast ohne Theologie) vorbereiten, die auch Atheisten verleiten soll, die Möglichkeit einer göttlichen Durchdringung der Welt zu akzeptieren, sozusagen den metaphysischen Sprung zu wagen. Meine Vorgehensweise ist induktiv, indem ich versuche, unvoreingenommen die Welt zu betrachten und sie undogmatisch zur Kenntnis zu nehmen. Dabei begegnet mir ihr wunderbarer wie auch ihr furchtbarer Charakter.
Es reizt mich ganz besonders, den Gedanken vom göttlichen Funken an den „schweren Brocken“ zu überprüfen und ihn sich an den
tiefgehenden Problemen der Theologie bewähren zu lassen:
+ Theodizee (Gott und das Leid)
+ Trinität (Dreifaltigkeit – Dreieinigkeit)
+ Auferstehung
+ Opfer und Sühne Jesu
+ Jungfrauengeburt
+ Personalisierung Gottes
+ Gottesbegegnungen
+ Durchdringung
Viele Theologen haben sich bereits zu dem Thema der göttlichen Durchdringung der Welt geäußert. Es gibt daher eine ganze Reihe von Ermunterungen, Bestätigungen, aber auch alternativen Sichtweisen. Deshalb stelle ich mich auf die Schultern dieser anderen Denker. Als Sprungbrett dient mir dabei das kleine Bändchen „Gott in allen Dingen finden“ von Gisbert Greshake, der darin das Thema schon in den 80ern aufgriff und dabei hilft, auf die anderen Theologien zu schauen. Ganz ans Herz ist mir Meister Eckhart gewachsen, dem ich deshalb auch in der Folge ein eigenes Kapitel gewidmet habe. Bemerkenswertes findet sich zu dem Thema auch in der antiken Philosophie der Stoa, sowie bei Seneca, Spinoza und Hegel. Ganz große Augen bekam ich bei meinem Blick über den europäischen Tellerrand nach Kaschmir, wo es im Asiatischen schon lange eine non-dualistische Deutung der Welt gibt. Ein besonderes Highlight stellt die spirituelle Meditationsübung des Vijnana Bhairava dar, die ich für mich entdeckte. Sie bietet einen konkreten Weg zur mystischen Gotteserfahrung an, also: Göttliches Bewusstsein – ganz praktisch.
Grundgelegt und grundlegend ist aber der Gedanke vom göttlichen Funken auch in der Biblischen Überlieferung, auch wenn er nicht explizit so formuliert wurde, und sein Kern weitgehend in den Hintergrund gedrängt worden ist. Ich gehe einzelnen ausgewählten Hinweisen nach, und stoße dabei auf folgenschwere Weltdeutungen mit fatalen Konsequenzen. Deshalb:
Funken in der Bibel
Im Alten Testament:
1 . und 2. Schöpfungsbericht
Sündenfall
Exodus-Exkurse
Im Neuen Testament:
Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt…
Der arme Lazarus – Schlüssel zur Welterklärung
Johannesfeuer
Gott lässt regnen über Gerechte und Ungerechte
Sündenvergebung
Der Funkengedanke als Durchdringung der Welt durch Gott ist nicht zuletzt im Leben der Kirche, in ihrem Ritus, in Liturgie, insbesondere auch in den Sakramenten, den Festen sowie im Beten und Singen zu finden: Die Sakramente Taufe – Eucharistie − Kommunion – Abendmahl – Firmung kommen zur Sprache. „Funkelnde“ Kirchenfeste: Weihnachten – Ostern – Christi Himmelfahrt – Pfingsten – Fronleichnam folgen. Schließlich Beten und Singen: Wie sollen wir beten? Kirchliche Lieder hinterlassen bei den Gläubigen den stärksten Eindruck.
Den krönenden, entspannt-entspannenden Abschluss stellt eine lyrisch–literarische Blütenlese (Florilegium) mit ausgewählten Gedichten, Texten und Zitaten (Goethe, Hölderlin, Angelus Silesius …) dar.
Ausgewählte Bibelstellen aus AT und NT mit Funkenanspruch mit meinen Kommentaren zu den Themen: Funken, Geist und Göttliches im Menschen, Gott und der Welt beschließen das Buch.
Einladung zum selektiven Lesen
Den Hinweis eines Freundes möchte ich weitergeben, als er meinte, es sei ja nun keine ganz leichte Bettlektüre. Deshalb mögen sich die Leserinnen und Leser ausdrücklich eingeladen fühlen, nicht um jeden Preis dem Verlauf des Buches zu folgen. Durch ein differenziertes Inhaltsverzeichnis und die Zwischenüberschriften kann man sich unsystematisch den brisanten oder für einen selbst spannenden Themenbereichen zuwenden, zumal viele Themen nahtlos ineinander fließen.
Die Inhalte der Kapitel dienen dem Ziel, meine Kernthesen zu stützen und zu erläutern, die Auswirkungen auf die theologischen Fragen zu erörtern oder einfach nur schöne biblische und literarische Parallelen zusammenzutragen.
Dabei geschieht es immer wieder, man möge verzeihen, dass mancher Gedanke wiederholt vorgetragen wird. Der Grund dafür ist, dass ich in dem Buch eine ganze Reihe kleinerer Essays und Aufsätze zusammengetragen habe. Oft entstehen außerdem Vernetzungen durch die thematischen Bezüge. Viel Vergnügen auf der Entdeckungsreise durch die Welt der Funken!
Es bleibt mir nur noch zu wünschen, dass neue Antworten auf die alten Fragen nach Gott aufscheinen und daraus ein prophetisches Buch für die Zukunft des Glaubens und der Theologie wird.
0.2 Was? Für wen? Warum? Wie? Worüber?
Prophetisches Schreiben
Mein Anspruch ist es, den alten Dunst zu vertreiben und verunsicherten Menschen neue Zugänge für ihren Lebenssinn und Glauben zu eröffnen. Deshalb muss mein Schreiben einen prophetischen Charakter haben. Nicht im vorhersagenden Sinne, sondern vielmehr im Sinne von zukunftsweisenden Impulsen. Wenn ich frischen Wind in Glauben und Theologie bringen will, kann ich mich nicht damit begnügen, streng kirchenkonform zu schreiben. Die alten Antworten der Theologen und der Kirche sind für viele nicht mehr tragfähig bzw. werden nicht mehr verstanden. Auch Klaus Müller sagt:
„Propheten sind nicht Männer und Frauen, „die die Zukunft vorhersagen, sondern die hervorsagen, wie es in der jeweiligen Gegenwart wirklich steht zwischen Gott und Mensch.“ Im Bewusstsein absolut und persönlich von Gott in Anspruch genommen zu sein – berufen sagt man dafür – machen die Propheten in Worten und Zeichen, manchmal sogar an ihrem eigenen Leib, die menschliche Geschichte deutend und gestaltend auf Gott hin durchsichtig.“iv
In diesem Sinn will ich meine Überlegungen in der Hoffnung vorstellen, dass sie die Leser ermutigen, die Erkenntnisse für ihr Leben fruchtbar werden zu lassen.
Der Glaube der Menschen in der Krise
Eine der jüngeren Spiegel-Untersuchungenv von 2019 zeigt, dass sich in den letzten Jahren der Glaube der Menschen in Deutschland stark verändert hat. Nur noch 55% der Befragten glauben an einen Gott (2005: 66%). Von denen, die an Gott glauben, glauben nur noch:
54%, dass Jesus von den Toten auferstanden sei,
66%, dass es einen dreifaltigen Gott als Vater, Sohn und Heiligen Geist gebe,
49%, dass Gott alles erschaffen habe,
55%, dass Jesus in einer Person Gott und Mensch sei.
Also nur noch etwa ein Viertel aller Befragten steht zu den eigentlich unumstößlichen Glaubensinhalten des Lehramts und selbst die Gläubigen nur noch zur Hälfte: Mensch und Gott in Jesus, Gott als Schöpfer der Welt, Auferstehung der Toten, ewiges Leben, Jungfrauengeburt – alles steht in Frage.
Immerhin glauben:
66% der Befragten an Wunder – also an irgendeine Art übernatürlicher Rettung, auch die Existenz von Engeln sowie Gedanken zu Wiedergeburt und Seelenwanderung stehen hoch im Kurs. Gott sei Dank glauben nur noch 13% an eine Hölle als ewigen Ort der Verdammnis und nur noch 26% an den Teufel. Herbert Schlögel meint schon 1988:
„…immer mehr Christen (…machen…) die Erfahrung: Unser Glaube „verdunstet“ in einer Umwelt, die von zahlreichen, zum Teil gegensätzlichen Lebensstilen geprägt ist; er wirkt konturenlos, weil es so schwer ist, deutlich zu machen, worin das Spezifische des christlichen Glaubens im Blick auf das Handeln liegt.“vi
Ebenso schonungslos analysieren die Soziologen Detlef Pollack und Gergely Rosta:
„Für die Abwendung der meisten Menschen von der Kirche ist weniger entscheidend, dass sie mit der Kirche unzufrieden sind (…). Bedeutsamer ist, dass ihnen anderes wichtiger ist als Religion und Kirche. … Menschen suchen das, was für Sie Relevanz hat – und nur das.“vii
Es gilt, neue Worte und Denkmuster für das zu finden, was Relevanz hat. Die Kirche lässt uns in unserem Bedürfnis nach zeitgemäßer, christlicher Orientierung in Zeiten der Übermacht naturwissenschaftlicher Welterklärung zu oft allein. Viele empfinden unseren Glauben als unvernünftig und rückständig. Man fordert für sich als mündiger Christ, dass das, was von den Human- und Naturwissenschaften allgemein als erwiesen, anerkannt gilt, auch als Christ angenommen werden kann, ohne in Gewissenskonflikte zu kommen. Religiöses Empfinden und die religiösen Überzeugungen sollen mit dem modernen Denken vereinbar sein. Dies muss möglich sein, auch wenn es dem Wortlaut der Bibel oder der christlichen Dogmatik nicht zu entsprechen scheint. „Nur wer sich ändert, bleibt sich treu!“ formuliert Herbert Haag in seinem Buch über eine neue Verfassung der Kirche.viii
Naturwissenschaften und Theologie dürfen nicht konkurrieren, sondern können/müssen sich widerspruchsfrei und bestens ergänzen. Sie müssen für mich miteinander vereinbar sein. Und das ist möglich!
Mehr als Auslegung
Es kann nicht nur um Auslegung des Glaubensbestandes der Kirche gehen, wie es den Theologen in den letzten Jahrzehnten von der Kirche ins Stammbuch geschrieben wurde. Frei nach dem Motto: Schließlich sei ja der Glaube der Kirche inzwischen klar benannt und es ginge nur noch um die Vermittlung dessen. Reicht das?
Die Theologen leisten eine großartige Arbeit, wenn es um die Deutung der biblischen und theologischen Überlieferungen geht, ob es sich um historisch-kritische Auslegung der biblischen Texte, die aus dem kulturellen Zusammenhang erklärt werden oder um alle möglichen Aspekte von Kirche, Glaubensverkündigung und Theologie handelt. Das muss aber auch riskieren, mehr als nur Erklärung dessen zu sein, was schon lange festliegt und als wahr geoffenbart worden ist. Eine Aktualisierung kann bedeuten, dass es einen neuen Anfang gibt und althergebrachte Überzeugungen ins Wanken geraten, weil sie auf Herz und Nieren überprüft wurden. Es kann sogar sein, dass manche althergebrachte Überlegungen gar nicht mehr gebraucht werden, weil sie nicht mehr tragfähig sind oder in eine andere Zeit gehören.
Ich beziehe mich auf die Fundamente des Glaubens und ich sage nicht, dass die Erkenntnisse der Vergangenheit, des Glaubens der Kirche, der Väter und Apostel grundsätzlich falsch sind. Ganz im Gegenteil. Vermutlich lässt sich ja Neuauslegung mit den alten Glaubenswahrheiten im Kern vereinbaren. Man muss sie jedoch differenziert betrachten und abwägen. In welchem historischen und kulturellen Zusammenhang sind sie entstanden? Wofür stehen sie? Mit welchen menschlichen Absichten haben sie ihre Glaubensüberzeugungen formuliert?
Daraus entsteht die Frage, wie wir heute damit umgehen können. Ein neues Glaubensgebäude darf – vielleicht muss – definitiv anders aussehen als das alte. Schließlich ist alles menschliche Streben zeitbedingt in seinem kulturellen und zeitgeschichtlichen Horizont verankert. Idealerweise sollte es in die jeweilige Situation und in die Probleme der Zeit und ihrer Kultur eingepasst sein. Nur so können alte Wahrheiten weiterhin eine wichtige Aufgabe im Glauben der Menschen übernehmen.
Zeitzeichen des Heiligen Geistes
Man sagt ja so schön: „Der Geist Gottes weht, wo er will“ und zwar bei jedem einzelnen Menschen zu seiner Zeit. Wir dürfen sogar davon ausgehen, dass der Heilige Geist bei jedem einzelnen von uns gefirmten Christen weht, und dass wir ihn für uns und unser Denken in Anspruch nehmen können. „Empfangt den Heiligen Geist“ versprach der auferstandene Christus den Jüngern (Joh 20,22). „Ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch herabkommen wird“ (Apg 1,8). Mit diesem Versprechen im Gepäck gilt es, die Zeitzeichen des Heiligen Geistes sensibel wahrzunehmen, für unsere Zeit aufzunehmen, zu deuten und einzuordnen. Jeder Einzelne steht hier in der Verantwortung. Die Fragen der modernen Christen bohren und wollen tragfähige Antworten und wir können uns diesem Anspruch nicht entziehen.
Wir haben die Verantwortung in unserem Leben ja letztlich ganz persönlich vor unserem Gewissen zu tragen, wenn wir unseren Glauben ernst nehmen, in Verantwortung vor Gott.
Dass dieses innere Denken nicht ganz in die Irre gehen kann, versichert uns auch das II. Vatikanische Konzil im 16. Artikel der Konstitution „Gaudium et Spes“: „Das Gewissen ist die verborgenste Mitte und das Heiligtum im Menschen, wo er allein ist mit Gott, dessen Stimme in diesem Innersten zu hören ist.“ix
Ich werde keinen Papst, kein Dogma und keine Glaubenskongregation vor mir her schieben können, wenn ich mich vor die Gretchenfrage in Goethes „Faust“ gestellt sehe: „Wie hältst du es mit der Religion?“. Mit dieser Frage sind wir vielmehr täglich konfrontiert, wenn wir unseren Glauben gegenüber uns selbst, Gott bzw. „dem Göttlichen in uns“ und unseren Mitmenschen verantworten müssen. Schließlich müssen wir danach handeln.
Persönlich verantworten
Meinem Gott muss ich persönlich Antwort geben und auf die Anfragen seines Geistes muss ich eigenverantwortlich antworten. Wenn ich einfach nicht antworte oder blind vertraue, bedeutet dies – für mein Verständnis – Verarmung und Stillstand. Blinder Glaube ist sicher auch eine große und oft geforderte christliche bzw. religiöse Tugend. Man nennt das dann: „Fest im Glauben stehend“ oder „Tiefgläubig“. Das wird unter Gläubigen nur allzu oft als erstrebenswerte Haltung gepriesen. Den nichtgläubigen Menschen und kritischen Christen erscheint das aber oft irrational, altmodisch, unmodern, nicht mehr zeitgemäß und unwissenschaftlich.
Es ist für mich unlauter, vermeintliche Antworten, die aus dem Nicht-weiter-wissen entstanden sind, zum wertvollen Glaubensakt zu erheben. Es ist beispielsweise unzureichend, nicht zu wissen, wie es nach dem Tod weitergeht und dann einfach anzunehmen, dass es schon irgendwie zu einer Seligkeit kommen werde, man müsse nur einfach feste dran glauben.
Für gläubige Menschen gibt es zwar die Zusicherung des Heiligen Geistes, der den Christen als Beistand zugesprochen ist, auf den wir uns ganz unbescheiden berufen dürfen. Wenn Paulus von den 7 Gnadengaben des Geistes spricht, gehören dazu: Weisheit mitzuteilen, Erkenntnis zu vermitteln, Glaubenskraft zu bewahren, Krankheiten zu heilen, Machttaten zu wirken, prophetisch zu reden, die Geister zu unterscheiden (1 Kor 12,4ff). „Jedem aber wird die Offenbarung des Geistes geschenkt, damit sie anderen nützt.“ (1 Kor 12,7) und im Vers davor: „Gott bewirke alles in allem.“ Er sagt sogar: „Alle, die sich vom Geist Gottes leiten lassen, sind Söhne Gottes“ (Röm 8,14). Im katholischen Katechismus spricht man dann von den Gaben des Heiligen Geistes als: Weisheit, Einsicht, Rat, Stärke, Erkenntnis, Frömmigkeit und Gottesfurcht. Der Heilige Geist wäre damit ein starker Unterstützer der Menschen – ein starker Unterstützer von uns allen.
Der Geist wirkt außerdem nicht nur als spiritueller Beistand und Unterstützer für gläubige Christen seit Jesus. Im Grunde muss diese Erkenntnis übergreifend für alle Zeiten, Kulturen und Epochen gelten. Denn: Ohne den Geist Gottes, den Heiligen Geist, der schon von Anfang an in der Welt wirkt, könnte gar nichts sein. Diese lebenserhaltende Kraft ist vielmehr schon immer in der Welt am Werke. Die Grundbedingung für alles, was ist. Ob Christ oder Nicht-Christ.
Im Geist zu sein, wird schließlich schon von Anfang an den Christen als Bedingung und Folge für ihr Christsein zugesagt. Joh 20,22: „Empfangt den Heiligen Geist!“ oder Apg 8,17: „Dann legten sie ihnen die Hände auf und sie empfingen den Heiligen Geist.“, sofern sie „reinen Herzens vor Gott“ waren. Dies können wir alle für uns beanspruchen.
Hirten
Päpsten, Bischöfen, Theologen, Priestern und Hirten der Kirche wurde und wird attestiert bzw. sie beanspruchen für sich, die authentische Erklärung der Welt im Lichte des christlichen Glaubens liefern zu können. Als Lehramt wird immer noch der Anspruch erhoben, die letztgültige Deutung der Welt für alle bieten zu können. Ein selbstgesetzter Anspruch, an dem die Kirche gleichwohl immer wieder zu scheitern scheint, denn für viele Menschen im Westen sind die lehramtlichen Überzeugungen nicht mehr zeitgemäß bzw. nicht aus sich selbst heraus verständlich. Die Herde folgt nicht mehr den Hirten, zumal sich so viele Hirten der Kirche durch ihr Verhalten in Bezug auf die Missbrauchsfälle ihrer eigenen Autorität beraubt und das Vertrauen der Menschen verloren haben. Neben dem unermesslichen Leid der Opfer und den persönliche Folgen, die sie oft ihr Leben lang zu tragen haben, ist die Kirche und die Botschaft Jesu Christi insgesamt beschädigt, auch wenn es sich um individuelle Verfehlungen von Kirchenleuten handelt. Inwiefern dies strukturell bedingt ist, wird in der Aufarbeitung der Skandale gerade hinterfragt.
Die Christen nehmen immer weniger die leitende Hand der Hirten an und wollen eigene Wege gehen und selbst entscheiden. Selbst Schüler im Religionsunterricht sagen am Ende des Tages einfach: „Das glaub’ ich halt so!“ und das so Geglaubte kann dann hundertmal gegen die Bibel, die Lehre der Kirche, die Bischöfe, die Naturwissenschaft oder den gesunden Menschenverstand verstoßen. Sie glauben es „einfach so“ und glauben eben damit auch anders als es die Kirche sich wünscht und erwartet. Das ist dann in den Augen der einen Glaubensverfall, in meinen Augen kann man dazu auch positiv sagen: Das ist Autonomie in Glaubensfragen, die sich nicht unterdrücken lässt, wenn man einmal angefangen hat, eigenständig nachzudenken. Dabei soll es jedoch nicht bleiben. Mir geht es darüberhinaus um den Austausch und die gegenseitige Bereicherung, idealerweise um Konsens.
Moderne Hirten und Theologen müssten mitsegeln und die Wellen reiten, die sich vor uns auftürmen, mitdiskutieren und alternative Vorschläge, neue Denkweisen und Lösungen ins Spiel bringen. Nur so bleibt Glaube lebendig und flexibel für die Erfordernisse der Menschen in ihrer Zeit. Dann bräuchte man kein Lamento des Niedergangs anzustimmen. Man könnte miteinander offen reden, die Zeitzeichen des Geistes austauschen, miteinander in Bezug setzen, vergleichen, sich um Verständigung bemühen und bei allem authentisch bleiben! Neues und Veränderung riskieren, auch in den schwierigen Fragen, in der Gewissheit eines Heiligen Geistes als Beistand. Einen wahrhaft synodalen Prozess riskieren, wie er derzeit als „Synodaler Weg“ in der deutschen Kirche beginnt und hoffentlich Wirkung zeigt.
Der Verweis auf dogmatische Glaubenssätze hilft nicht (mehr), denn letztlich verwendet die Kirche auch so eine Art „Wir-glauben-das-halt-so!“ Gerade das muss aber hinterfragt werden. Selbst Dogmen müssen neu überdacht und zumindest zeitgemäß und nachvollziehbar formuliert werden.
Tragfähige Positionen
Eines der Anliegen, die ich mit diesem Buch verfolge, ist, rational nachvollziehbare Glaubensüberzeugungen und gleichzeitig christlich-religiöse Orientierung als ein tragfähiges Sinnangebot neu zu entwickeln. Dann können wir – die Kirche, du, ich und jeder engagierte Christ, dem daran gelegen ist – einen neuen Weg des Glaubens finden. Einen solchen Weg kann man dann mit voller Überzeugung beschreiten. Einen Weg, den wir mehr als „halt-so-glauben“. Das gelingt nur, wenn der neue Weg plausibel ist und sich in der Zeit und gegen die Zeit behaupten kann. Nicht mehr im Sinne einer blinden Navigation hin zum gehorsamen Glauben, sondern im Sinne eines rational nachvollziehbaren Glaubensurteils mit Konsequenzen für das Handeln im Hier und Jetzt. Zu einem Glauben zwingen lässt sich heute sowieso keiner mehr. Das sprachlose Verabschieden vom Glauben wäre andererseits der unbefriedigendste Tod des Christentums!
Machen wir uns also auf den Weg und lassen uns vom Geist in uns als begeisternd begeisterter Schwarm intelligenter Christen von dem individuellen göttlichen Funken, dem kleinen oder großen Licht in uns, führen und leiten. Auf geht’s…
i Die Fragen des Panentheismus sind 2017 auf einer Tagung der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart im Rahmen des Religion und Science Network Germany (RSNG) in einer hochkarätigen Beteiligung erörtert worden. Theologen wie Klaus Müller, Hans-Dieter Mutschler, Philip Clayton, Holm Tetens, Godehard Brüntrup und andere haben in philosophisch-theologischen Abhandlungen die Grenzen und Chancen eines Panentheismus beleuchtet. Dokumentation der Tagung unter: www.forum-grenzfragen.de Vgl. auch: Bernhard Nitsche u.a. (Hg.), Gott jenseits von Monismus und Theismus, Paderborn 2017.
ii Klaus Müller wird in Publik-Forum 1/2018 von Michael Schrom zu diesem Thema zitiert: „…, dass sich das Christentum durch die Ablehnung des All-Einheits-Gedankens selbst von wichtigen philosophischen Wurzeln und Strömungen abschneide.“ In diesem Zusammenhang muss noch der wichtige Vertreter der Prozesstheologie Alfred North Whitehead erwähnt werden.
iii Klaus Müller, An den Grenzen des traditionellen Gottesbildes: Paradigmenwechsel zum Panentheismus?, Herder Korrespondenz 65 (2011), Heft Spezial 2, S. 33-38
iv Klaus Müller, Dem Glauben nachdenken, Münster 2010, S. 27
v Dietmar Pieper, in: Der Spiegel, Nr. 17 / 20.4.2019
vi Aus: Schlögel, Herbert (1988) Glaube und Werk, In: Ritt, Hubert, (ed.) Gottes Volk Lesejahr B 7. Glaube und Werke: 22. bis 27. Sonntag im Jahreskreis. Verl. Kath. Bibelwerk, Stuttgart, S. 77-86. Gefunden in: https://epub.uni-regensburg.de/8835/
1/ubr03557_ocr.pdf am 7.März 2020
vii Zitiert aus dem Artikel von Stefan Zekorn „Trauen wir uns wieder Gott zu lieben“ in der Herder-Korrespondenz, März 2020, S. 16, wo er die Soziologen Detlef Pollack und Gergely Rosta zitiert. Das Zitat ist im Artikel der Herder-Korrespondenz unzureichend belegt. Möglicherweise aus: Detlef Pollak und Gergely Rosta: Religion in der Moderne: Ein internationaler Vergleich, Frankfurt 2015
viii Herbert Haag: „Nur wer sich ändert, bleibt sich treu“, Freiburg 2000
ix Rahner, Karl und Vorgrimmler, Herbert, Kleines Konzilskompendium, Freiburg 1981, S. 462, Gaudium et Spes, 16